Ältere Menschen und Drogen: gesundheitliche und soziale Maßnahmen

Einleitung

Dieser Mini-Guide ist Teil einer Reihe von Publikationen, die unter dem Titel Health and social responses to drug problems: a European guide (Gesundheitliche und soziale Maßnahmen zur Bewältigung drogenbedingter Probleme: ein europäischer Leitfaden) zusammengefasst sind. Er bietet einen Überblick über die wichtigsten Aspekte, die bei der Planung oder Durchführung gesundheitlicher und sozialer Maßnahmen für ältere Drogenkonsumierende zu berücksichtigen sind. Des Weiteren werden die Verfügbarkeit und Wirksamkeit der Maßnahmen beleuchtet und die Konsequenzen für Politik und Praxis untersucht.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2023

Aeltere Menschen und Drogen - Kappe

Inhalt:

Überblick

Kernpunkte

Europas Bevölkerung wird insgesamt älter, und der Anteil der über 40-Jährigen mit opioidbedingten Problemen steigt. Dies äußert sich auch darin, dass immer mehr ältere Menschen in Drogenbehandlung sind oder an einer Überdosierung von Opioiden sterben. Auch der problematische Konsum anderer Substanzen, wie beispielsweise von Benzodiazepinen, gibt zunehmend Anlass zur Sorge.

Bei älteren Opioidkonsumierenden kann der physische Alterungsprozess durch die kumulativen Auswirkungen ihres langjährigen polyvalenten Drogenkonsums und eines etwaigen schlechten Gesundheitszustands beschleunigt werden. Unter Umständen sind sie auch anfälliger für Infektionen, Überdosierungen und Suizid.

Darüber hinaus verfügen sie möglicherweise aufgrund vorzeitiger Todesfälle in ihrem direkten Umfeld und infolge ihrer Stigmatisierung nur über ein unzureichendes soziales Netz, wodurch ihre soziale Ausgrenzung und familiäre Isolation weiter verschärft werden können. Stigmatisierung kann auch ein Hindernis für die Inanspruchnahme von Hilfe darstellen.

Maßnahmen

Derzeit sind nur wenige Maßnahmen auf die spezifischen Bedürfnisse älterer Drogenkonsumierender ausgerichtet. Hinzu kommt, dass die Evidenzbasis für diese Maßnahmen erweitert werden muss. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen:

  • auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnittene Drogenbehandlungseinrichtungen, die eine multidisziplinäre Betreuung anbieten, um sowohl ihren medizinischen und psychologischen Bedürfnissen als auch ihrer sozialen Isolation Rechnung zu tragen;
  • verbesserte Verfügbarkeit und Inanspruchnahme antiviraler Hepatitis-C-Therapien;
  • angemessene medizinische Versorgung, einschließlich zahnmedizinischer Leistungen;
  • Sensibilisierung und Schulung des für ältere Menschen zuständigen Personals von Gesundheits- und Sozialdiensten mit Blick auf den Umgang mit den Bedürfnissen älterer Menschen mit drogenbedingten Problemen, um eine angemessene Betreuung sicherzustellen und Stigmatisierung vorzubeugen;
  • spezialisierte Pflegeeinrichtungen für die stationäre Langzeitpflege älterer Drogenkonsumierender;
  • Unterstützung durch Interessengruppen zur Stärkung von Selbstwertgefühl, Akzeptanz und einer positiven Zukunftswahrnehmung, einschließlich peer-geleiteter Konzepte;
  • Bereitstellung sicherer und geeigneter Unterkünfte.

Die Situation in Europa

In Europa ist nur eine begrenzte Behandlung und Betreuung älterer Menschen mit drogenbedingten Problemen verfügbar, da die meisten Dienste auf die Bedürfnisse einer jüngeren Kohorte zugeschnitten sind. Nur in einigen wenigen europäischen Ländern gibt es spezialisierte Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen, die nicht für sich selbst sorgen können.

Bei der Planung von Diensten zur Deckung des künftigen Bedarfs der steigenden Zahl älterer Drogenkonsumierender an gesundheitlicher und sozialer Betreuung müssen auf bestimmte Altersgruppen zugeschnittene Betreuungsdienste, ein ganzheitlicher, multidisziplinärer Ansatz mit einrichtungsübergreifenden Partnerschaften sowie Überweisungen zwischen spezialisierten und allgemeinen Gesundheits- und Sozialdiensten ins Auge gefasst werden.

Kernthemen im Zusammenhang mit älteren Menschen und Drogenkonsum

Als ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen gelten in diesem Mini-Guide Personen ab 40 Jahren, deren langjähriger Drogenkonsum bereits zu gesundheitlichen Schäden führte oder bei denen ein hohes Risiko von Schäden besteht. Einige der erörterten Themen sind jedoch auch für ältere Kohorten von Menschen mit drogenbedingten Problemen relevant, die das Renteneintrittsalter erreicht oder überschritten haben. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass ihre Lebenssituation durch ihren Drogenkonsum beeinträchtigt wird und sich ihre Merkmale und Lebenswege von denen jüngerer Drogenkonsumierender unterscheiden.

Bei einem steigenden Anteil der Opioidkonsumierenden in Europa handelt es sich um ältere Menschen, die seit vielen Jahren Opioide konsumieren. In den letzten 20 Jahren ist das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten, die sich wegen opioidbedingter Probleme in Behandlung begeben, von Anfang 30 auf Ende 30 gestiegen, und auch bei den drogenbedingten Todesfällen (in erster Linie im Zusammenhang mit Opioiden) ist ein steigendes Durchschnittsalter zu verzeichnen. Die Zahl der älteren Menschen mit drogenbedingten Problemen, die eine gesundheitliche und soziale Betreuung benötigen, wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Dies gilt insbesondere für die westeuropäischen Länder, die in den 1980er und 1990er Jahren Schauplatz der ersten Heroinepidemien in Europa waren. In diesem Zusammenhang werden in zunehmendem Maße geeignete Strategien, Therapien und Dienste benötigt, um dem Bedarf dieser Bevölkerungsgruppe in Europa gerecht zu werden.

Die Lebensqualität langjähriger Drogenkonsumierender kann durch eine Vielzahl von Erkrankungen beeinträchtigt werden. Ein Großteil der älteren problematischen Drogenkonsumierenden in Europa konsumiert seit den 1980er oder 1990er Jahren Heroin. Viele der langjährigen injizierenden Drogenkonsumierenden sind mit HIV und Hepatitis C (HCV) infiziert. Zwar kann die Lebenserwartung dieser Personen dank verbesserter Behandlungen erhöht werden, jedoch ist davon auszugehen, dass ihr physischer Alterungsprozess aufgrund des langjährigen problematischen Drogenkonsums beschleunigt wird. In der Regel leiden sie häufiger an körperlichen und psychischen Erkrankungen als jüngere Drogenkonsumierende und ältere Menschen, die keine Drogen konsumieren, Hinzu kommt, dass bei ihnen möglicherweise zu einem früheren Zeitpunkt degenerative Erkrankungen, Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Diabetes, Hepatitis und Leberzirrhose auftreten. Zudem kann bei ihnen ein höheres Risiko für drogenbedingte Infektionen, Überdosierungen und Suizid bestehen. Auch psychische Erkrankungen könnten ein schwerwiegendes Problem darstellen.

Viele ältere Opioidkonsumierende werden oder wurden mit Methadon oder Buprenorphin behandelt. Jedoch weiß man gegenwärtig nur wenig über die Wechselwirkungen und Wirksamkeit von opioidgestützten Therapien und Behandlungen für Menschen mit physischen Erkrankungen und eingeschränkter Leberfunktion. In der allgemeinmedizinischen Versorgung kann die angemessene Schmerzbehandlung von Opioidkonsumierenden dadurch erschwert werden, dass diese Patientinnen und Patienten eine höhere Toleranz gegenüber Opioidanalgetika haben. Da es für diese Personengruppe keine Leitlinien für eine wirksame Schmerztherapie gibt, besteht die Gefahr, dass sie von den Gesundheitsdiensten eine unzureichende Medikation erhalten. Es ist wichtig, dass sich die Gesundheitsdienste der Tatsache bewusst sind, dass durch eine Reihe von Arzneimitteln, die problematischen Opioidkonsumierenden – oftmals zeitgleich mit einer Opioid-Agonisten-Therapie – verschrieben werden könnten, das Risiko einer Überdosierung erhöht werden kann, weil sie eine dämpfende Wirkung auf das Zentralnervensystem haben. Hierzu zählen unter anderem Gabapentinoide, die zur Behandlung neuropathischer Schmerzen verschrieben werden, und Benzodiazepine.

Insgesamt leidet ein hoher Anteil der älteren Menschen, die seit vielen Jahren Opioide injizieren, an hämatogenen Virusinfektionen. Zudem besteht bei älteren Opioidkonsumierenden, die sich früh mit Hepatitis C infiziert haben, ein größeres Risiko für Lebererkrankungen und Krebs, wenn sie nicht behandelt werden.

Ein erheblicher Anteil der älteren Menschen mit drogenbedingten Problemen lebt alleine, benötigt eine Unterkunft, ist arbeitslos und zählt zu den Nichterwerbspersonen. Arbeitslosigkeit kann zu einer Reduzierung ihres sozialen Netzes sowie ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse und letztendlich zu Marginalisierung und Isolierung führen. Durch Stigmatisierung und Altersdiskriminierung werden die bei dieser Personengruppe häufig zu beobachtende soziale Ausgrenzung und die Isolation von Familie und Freunden weiter verschärft. Diese Menschen sind anfällig für Depressionen und Einsamkeit, weil ihr soziales Netz immer kleiner wird, wenn andere ältere Drogenkonsumierende sterben oder aber ihre Drogensucht überwinden und sich von ihnen zurückziehen. Die Stigmatisierung, die sie möglicherweise aufgrund der Tatsache erleben, dass sie mit fortschreitendem Alter weiterhin Drogen konsumieren, kann sie davon abhalten, Hilfe und eine medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen oder sich einer Genesungsgemeinschaft anzuschließen.

Der Schwerpunkt dieses Mini-Guides liegt auf älteren Menschen mit opioidbedingten Problemen, von denen viele auch andere Drogen und Alkohol konsumieren. Es gibt aber auch Gruppen älterer Menschen mit einem problematischen Konsum anderer Drogen, wie beispielsweise Cannabis, oder Arzneimitteln wie Benzodiazepinen. Ältere Menschen reagieren möglicherweise empfindlicher auf Benzodiazepine und andere beruhigende Arzneimittel und sind schlechter in der Lage, einige langwirkende Stoffe, wie etwa Diazepam, zu verstoffwechseln. Durch die Einnahme dieser Arzneimittel steigt zudem die Gefahr von kognitiven Beeinträchtigungen, Delirien, Stürzen und Unfällen. Bislang wurde den Problemen älterer Menschen, die diese anderen Drogen oder Arzneimittel konsumieren, nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt, jedoch können einige der hier erörterten Maßnahmen für Opioidkonsumierende auch für diese Personengruppen relevant sein. Möglicherweise müssten auch spezifische Dienste bereitgestellt und eine stärkere Einbindung der medizinischen Grundversorgung sichergestellt werden. Im Hinblick auf die Bereitstellung von Diensten für diese Personengruppen werden mittlerweile neue Leitlinien für die Prävention, Bewertung und Behandlung von Problemen erarbeitet.

Maßnahmen zur Bewältigung drogenbedingter Probleme älterer Menschen

Dank dem verstärkten Angebot von schadensminimierenden Maßnahmen in vielen europäischen Ländern erreichen Menschen mit heroinbedingten Problemen ein höheres Alter. In der Regel werden ältere Opioidkonsumierende in allgemeinen Betreuungsdiensten für Drogenkonsumierende behandelt. Es gibt einige auf ihre spezifischen Bedürfnisse ausgerichtete Maßnahmen, jedoch ist bislang keine tragfähige Evidenzbasis für diese Maßnahmen verfügbar. Zu den wichtigsten Maßnahmen für diese Personengruppe zählen

  • auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnittene Drogenbehandlungseinrichtungen, die eine multidisziplinäre Betreuung anbieten, um sowohl ihren medizinischen und psychologischen Bedürfnissen als auch ihrer sozialen Isolation Rechnung zu tragen;
  • angemessene medizinische Versorgung, einschließlich zahnmedizinischer Leistungen;
  • verbesserte Verfügbarkeit und Inanspruchnahme antiviraler Hepatitis-C-Therapien;
  • spezialisierte Pflegeeinrichtungen für die stationäre Langzeitpflege älterer Drogenkonsumierender;
  • Bereitstellung sicherer und geeigneter Unterkünfte;
  • Sensibilisierung und Schulung des für ältere Menschen zuständigen Personals von Gesundheits- und Sozialdiensten mit Blick auf den Umgang mit den Bedürfnissen von Patientinnen und Patienten mit drogenbedingten Problemen, um eine angemessene Betreuung sicherzustellen und Stigmatisierung vorzubeugen;
  • Maßnahmen gegen soziale Isolation und Stigmatisierung.

Auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnittene ganzheitliche Betreuung

Bei der Planung von Diensten zur Deckung des künftigen Bedarfs der steigenden Zahl älterer Drogenkonsumierender an gesundheitlicher und sozialer Betreuung müssen in Europa möglicherweise Betreuungsdienste, die auf bestimmte Altersgruppen zugeschnitten sind, ein ganzheitlicher, multidisziplinärer Ansatz mit einrichtungsübergreifenden Partnerschaften sowie Überweisungen zwischen spezialisierten und allgemeinen Gesundheits- und Sozialdiensten ins Auge gefasst werden. Besonders wichtig ist ein koordinierter Behandlungsansatz für ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen, der einrichtungsübergreifende Partnerschaften und vorgegebene Überweisungswege zwischen spezialisierten und allgemeinen Gesundheits- und Sozialdiensten umfasst. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Betreuungsmodelle setzt möglicherweise voraus, dass das Personal der allgemeinen Dienste geschult wird.

Gegenwärtig fehlt es an Screening-Tools, die auf ältere Menschen mit durch Substanzkonsum bedingten Problemen zugeschnitten sind, sowie an Messgrößen für die Behandlungsergebnisse. In der Praxis sind für die Stabilisierung oder Genesung älterer Drogenkonsumierender unter Umständen andere Maßnahmen erforderlich als bei jüngeren Drogenkonsumierenden. Beispielsweise könnten die Dienste einen überwachten Methadonkonsum in den Heimen für ältere Opioidkonsumierende ins Auge fassen oder die Ausgabe von mehr Dosen an die Patientinnen und Patienten gestatten. Es ist wichtig, ältere Drogenkonsumierende in die Entwicklung der Dienste einzubeziehen, um sicherzustellen, dass diese ihren Bedürfnissen gerecht werden.

Darüber hinaus müssen Drogenbehandlungseinrichtungen unter Umständen auch zunehmend den Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden, die mit Problemen durch den Konsum anderer Substanzen wie Benzodiazepinen und möglicherweise Cannabis konfrontiert sind und auch auf sie zugeschnittene Dienste benötigen. Hierfür könnte es notwendig sein, in den Einrichtungen altersspezifische Gruppen zu bilden, soziale Aktivitäten und Veranstaltungen auszurichten und eine regelmäßige Unterstützung durch Peers und Freiwillige sicherzustellen, um der sozialen Isolation entgegenzuwirken.

Angemessene medizinische Versorgung, einschließlich zahnmedizinischer Leistungen

Ältere Menschen mit opioidbedingten Problemen benötigen möglicherweise Unterstützung, um die Dienste aufsuchen zu können. Für Menschen, die Mobilitätsprobleme haben oder in ländlichen Gebieten wohnen, könnten Hausbesuche angeboten werden. Denkbar wären auch die Bereitstellung ausgelagerter Dienste außerhalb der Gemeinschaftseinrichtungen für ältere Menschen und der Ausbau der aufsuchenden Betreuung.

Um den anderen medizinischen (einschließlich zahnmedizinischen), psychologischen und sozialen Bedürfnissen älterer Menschen mit drogenbedingten Problemen gerecht zu werden, sind multidisziplinäre und innovative Ansätze von entscheidender Bedeutung.

Verbesserte Verfügbarkeit und Inanspruchnahme antiviraler Hepatitis-C-Therapien

Die verbesserte Verfügbarkeit und Inanspruchnahme antiviraler Hepatitis-C-Therapien ist für ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen wahrscheinlich von zentraler Bedeutung. Aufgrund ihres erhöhten Risikos einer Überdosierung sind sie eine wichtige Zielgruppe für die Ausgabe von Naloxon und andere Strategien zur Prävention von Überdosierungen.

Spezialisierte Pflegeeinrichtungen für die stationäre Langzeitpflege älterer Drogenkonsumierender

Es gibt einige spezialisierte Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen, die nicht für sich selbst sorgen können. Ist eine solche Einrichtung nicht verfügbar, können Menschen mit drogenbedingten Problemen in geriatrische Stationen oder Gemeinschaftseinrichtungen für Senioren aufgenommen werden. In der Regel sind diese nicht spezialisierten Einrichtungen nicht angemessen ausgestattet, um die umfassende Diagnostik, Behandlung und Betreuung zu erbringen, die ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen benötigen könnten. Es ist in zunehmendem Maße von Bedeutung, dass das in diesem Bereich tätige Personal über ein grundlegendes Verständnis der durch Substanzkonsum bedingten Probleme und ihrer möglichen Auswirkungen auf die Bedürfnisse älterer Patientinnen und Patienten verfügt.

Bereitstellung sicherer und geeigneter Unterkünfte

Sichere und geeignete Unterkünfte sind für die Bewältigung sozialer, gesundheitlicher und physischer Probleme grundsätzlich unerlässlich. Oftmals muss besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse älterer Menschen gelegt werden, die sich dafür entscheiden, Abstand von anderen Drogenkonsumierenden zu gewinnen. Bei Menschen, die weiterhin Drogen konsumieren, muss unter Umständen sichergestellt werden, dass sie ihre Unterkunft nicht verlieren, weil sie Drogen konsumieren. Dienste nach dem Modell des „Housing First“, die zunächst eine Unterkunft bereitstellen, bevor die drogenbedingten Probleme des Einzelnen in Angriff genommen werden oder andere Unterstützung geleistet wird, können für ältere Menschen hilfreich sein, die obdachlos sind und Drogen konsumieren (vgl. Obdachlosigkeit und Drogen: gesundheitliche und soziale Maßnahmen). Geeignete Unterkünfte für diese Personengruppe müssen möglicherweise einen barrierefreien Zugang haben, damit auch Menschen mit Behinderungen untergebracht werden können. Darüber hinaus könnte einigen älteren Drogenkonsumierenden im Rahmen von Beschäftigungs- und Arbeitsprogrammen eine sichere – bezahlte oder freiwillige – Arbeit vermittelt werden. Möglicherweise müssten Schulungen für die Arbeitgeber angeboten werden, damit sie die gesundheitlichen und sozialen Probleme dieser Menschen verstehen.

Sensibilisierung und Schulung des Personals von Gesundheits- und Sozialdiensten

Des Weiteren könnten Schulungen für das Personal geriatrischer Betreuungseinrichtungen angeboten werden, damit dieses in der Lage ist, mit den älteren Drogenkonsumierenden umzugehen, die einen steigenden Anteil der Patientinnen und Patienten ausmachen. Auch für das Personal von Schmerzkliniken und Hospizen könnten fachspezifische Schulungen zu auf klaren Behandlungsprotokollen basierenden Schmerztherapien für Opioidabhängige von Vorteil sein. Gegenwärtig ist die Evidenzbasis für wirksame Verfahren in diesem Bereich lückenhaft. Qualifiziertes Personal ist jedoch unerlässlich, damit ältere Menschen mit opioidbedingten Problemen mehr Beachtung finden und bessere Dienste für sie angeboten werden.

Maßnahmen gegen soziale Isolation und Stigmatisierung

Gegen die soziale Isolation und Einsamkeit der Betroffenen kann vorgegangen werden, indem ihnen Bewältigungsstrategien vermittelt, ihre sozialen Netze ausgebaut und Aktivitäten angeboten werden, die ihr Wohlbefinden verbessern. Im Rahmen einer im Vereinigten Königreich durchgeführten Pilotstudie konnten ältere Drogenkonsumierende für ein Fitnessprogramm gewonnen werden, waren jedoch aufgrund einer Vielzahl sozialer Probleme nur eingeschränkt in der Lage, daran teilzunehmen. In Australien, Kanada, Irland und dem Vereinigten Königreich wurden ältere Männer im Rahmen von „Men‘s Shed“-Programmen darin bestärkt, durch den Erwerb neuer Fähigkeiten, den Aufbau sozialer Netze und die Teilhabe an Gemeinschaften Identitätsbewusstsein, Selbstachtung und Selbstwertgefühl zu entwickeln.

Um gegen die Altersdiskriminierung und Stigmatisierung vorzugehen, die viele ältere Drogenkonsumierende erleben, können Interessengruppen in Drogenbehandlungseinrichtungen Unterstützung durch ältere Peers anbieten. Die Unterstützung durch Peers kann dazu führen, dass das Selbstwertgefühl der Betroffenen gestärkt wird und diese sich akzeptiert und verstanden fühlen und eine positive Zukunftswahrnehmung entwickeln. Dieses Engagement dürfte auch für die Peers und Freiwilligen von Vorteil sein. Maßnahmen, die auf die Wiedereingliederung der Betroffenen in die Gesellschaft und den Aufbau oder die Erweiterung der sozialen Netze abzielen, können Einsamkeit und Isolation vorbeugen, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt der Behandlung ergriffen werden.

Die Evidenzbasis für spezialisierte Maßnahmen für ältere Opioidkonsumierende ist gegenwärtig sehr klein. Angesichts der Tatsache, dass in Europa Opioidkonsumierende über 40 Jahren längerfristig wahrscheinlich die Mehrheit der Patientinnen und Patienten in Drogenbehandlung ausmachen werden, ist es jedoch wichtig, dass dieses Problem in Angriff genommen wird und wirksame Maßnahmen entwickelt werden, sodass fundiertere Strategien und Konzepte erarbeitet werden können. Es gibt einige wenige Leitlinien zu Maßnahmen für diese Personengruppe: In Europa entwickelte die European AIDS Clinical Society eine Reihe von Leitlinien, die einen Überblick über die Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln zur HIV/AIDS-Behandlung und anderen pharmakologischen Therapien, einschließlich der Opioid-Agonisten-Therapie (1), bieten. Diese Leitlinien werden alle zwei Jahre überarbeitet und in mehreren europäischen Sprachen veröffentlicht. Sie können Mediziner dabei unterstützen, den Bedürfnissen älterer Drogenkonsumierender bei ihrer Behandlung und Betreuung besser Rechnung zu tragen.

Die Situation in Europa: Verfügbarkeit von Maßnahmen für ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen

Das Angebot spezifischer Behandlungs- und Betreuungsdienste für ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen ist in Europa begrenzt und lückenhaft. Die meisten Dienste sind auf die Bedürfnisse einer jüngeren Kohorte von Drogenkonsumierenden zugeschnitten, und die Patientinnen und Patienten verbleiben in der Regel über Jahre hinweg in diesen allgemeinen Diensten.

Nach wie vor gibt es nur einige wenige spezialisierte Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen mit drogenbedingten Problemen, die nicht für sich selbst sorgen können – beispielsweise in Belgien, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden. Sie können als Modelle für Pflegeeinrichtungen für die stationäre Langzeitpflege dienen, in denen chronisch kranke, ältere Drogenkonsumierende betreut und unterstützt werden. In Deutschland bietet beispielsweise der Verein Condrobs niederschwellige und akzeptanzorientierte Unterstützung für ältere Drogenkonsumierende an. Sein Leistungsspektrum umfasst Beratungsdienste, betreutes Wohnen und ein Beschäftigungsprojekt. Ein weiteres Beispiel ist das Geriatric Addiction Program, das in den Vereinigten Staaten speziell dafür entwickelt wurde, den Bedürfnissen älterer Menschen mit durch Substanzkonsum bedingten Problemen zu entsprechen. Im Rahmen dieses gemeindenahen Programms werden häusliche Interventionen bei Substanzkonsum, Situationsbewertungen und Kontakte zu Diensten für ältere Menschen angeboten.

Es gibt auch einige wenige Projekte, in deren Rahmen Personalschulungen zum Umgang mit der zunehmenden Zahl dieser Patientinnen und Patienten durchgeführt werden. An dem von der Europäischen Kommission unterstützten Projekt BeTrAD (Better Treatment for Ageing Drug Users – Bessere Behandlung älterer Drogenkonsumierender) sind neun Partnerorganisationen in fünf EU-Mitgliedstaaten beteiligt. Im Rahmen dieses Projekts werden Lehrenden in der Erwachsenenbildung, im Bereich der Drogenhilfe tätigen Organisationen, geriatrischen Einrichtungen und kommunalen Behörden Instrumente und vorbildliche Verfahren an die Hand gegeben, mit deren Hilfe Lernmöglichkeiten der Erwachsenenbildung geschaffen werden können, um neue Dienste für ältere Drogenkonsumierende zu entwickeln und die bestehenden Dienste zu verbessern. Zudem wurde ein Schulungsprogramm für in der Krankenpflege, der Suchthilfe und dem Gesundheitswesen tätige Fachkräfte sowie für Koordinatoren von Selbsthilfegruppen erarbeitet, dessen Schwerpunkt auf der Inklusion von Drogenkonsumierenden liegt.

Konsequenzen für Politik und Praxis

Grundlegendes

  • Die zentrale Aufgabenstellung der Diensteanbieter besteht unter anderem in der Umgestaltung oder Umstrukturierung der Betreuungsdienste für Drogenkonsumierende und der Entwicklung spezialisierter Dienste, die dem Bedarf älterer Drogenkonsumierender an gesundheitlicher und sozialer Betreuung gerecht werden.
  • Zwischen Betreuungsdiensten für Drogenkonsumierende und allgemeinen Gesundheits- und Sozialdiensten müssen eindeutige Kommunikationskanäle und Überweisungswege bestehen.

Möglichkeiten

  • Durch Investitionen in die Personalentwicklung in der allgemeinen Altenpflege mit Blick auf die Vertiefung der Kenntnisse des Personals über die Bedürfnisse älterer Menschen mit drogenbedingten Problemen könnte eine Verbesserung der Behandlung der körperlichen und psychischen Gesundheitsprobleme dieser Personengruppe erreicht werden.
  • Durch die Erarbeitung von Protokollen für die Schmerzbehandlung bei Opioidabhängigen in Schmerz- und Palliativkliniken würde die Erbringung hochwertiger Betreuungsdienste in diesen Einrichtungen unterstützt. Es müssen Forschungsarbeiten durchgeführt werden, um Evidenzdaten über vorbildliche Verfahren in diesem Bereich bereitzustellen.

Defizite

  • Es müssen Screening-Tools und Ergebnis-Messgrößen entwickelt werden, die für ältere Menschen mit durch langjährigen Substanzkonsum bedingten gesundheitlichen und sozialen Problemen geeignet sind.
  • Es müssen vielversprechende Interventionen und Betreuungsmodelle für den Umgang mit den gesundheitlichen und sozialen Problemen der wachsenden Kohorte älterer Menschen mit opioidbedingten Problemen ermittelt und evaluiert werden, um vorbildliche Verfahren auszumachen und weiterzugeben.
  • Es müssen Maßnahmen entwickelt werden, um den Bedürfnissen älterer Menschen, die andere Substanzen als Heroin – wie etwa Cannabis und Stimulanzien – konsumieren, besser Rechnung zu tragen.

Weitere Ressourcen

EMCDDA

Andere Quellen

 

(1) Mit dem Begriff „Opioid-Agonisten-Therapie“ wird in dieser Veröffentlichung eine Reihe von Therapieformen bezeichnet, in deren Rahmen Opioid-Agonisten zur Behandlung von Opioidabhängigkeit verschrieben werden. Es ist zu beachten, dass hierzu auch die Opioid-Agonisten-Therapie zählt, die in einigen Datenerhebungsinstrumenten und älteren Dokumenten der EMCDDA genannt wird.

Über diesen Mini-Guide

Dieser Mini-Guide bietet einen Überblick über die bei der Planung oder Durchführung gesundheitlicher und sozialer Maßnahmen für ältere Drogenkonsumierende zu berücksichtigenden Aspekte. Des Weiteren werden die verfügbaren Interventionen und ihre Wirksamkeit beleuchtet und die Konsequenzen für Politik und Praxis untersucht. Dieser Mini-Guide ist Teil einer Reihe von Publikationen, die unter dem Titel Health and social responses to drug problems: a European guide (Gesundheitliche und soziale Maßnahmen zur Bewältigung drogenbedingter Probleme: ein europäischer Leitfaden) zusammengefasst sind.

Empfohlene Zitierweise: Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2023), Ältere Menschen und Drogen: gesundheitliche und soziale Maßnahmen, https://www.emcdda.europa.eu/publications/mini-guides/older-people-and-….

Identifikatoren

HTML: TD-07-23-285-DE-Q
ISBN: 978-92-9497-944-5
DOI: 10.2810/541868

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